Keine Daten, keine Orientierung

Sportinfrastruktur in Deutschland – Schlaglichter zum Status Quo.

28 Millionen Mitglieder

Die Bedeutung der Sportinfrastruktur lässt sich unter anderem daran bemessen, dass der Sport rund 2,3 % zum Bruttoinlandsprodukt beiträgt, 4,4 % des Konsums der privaten Haushalte ausmacht (Ahlert, Repenning 2023) und knapp 28 Millionen Mitgliedschaften in Sportvereinen bestehen (DOSB 2023a). Ferner umfasst die Sportinfrastruktur einen hohen Anteil der gesamten öffentlichen Infrastruktur. Zudem formen Sport und Sportstätten in bedeutendem Maße die Sozialität der Städte und Gemeinden in urbanen und ländlichen Gebieten und leisten einen bedeutsamen Beitrag zur Gesunderhaltung breiter Bevölkerungskreise oder zur Integration. 

Die erste empirische Erfassung der Sportinfrastruktur in Deutschland erfolgte im Jahr 1935 mit der Sportstättenstatistik des Deutschen Reiches. Das Statistische Bundesamt schloss in den Jahren 1955 und 1965 mit eigenen Erhebungen an. 1976 folgten Erhebungen durch die damalige Deutsche Olympische Gesellschaft, die Bundesvereinigung der Kommunalen Spitzenverbände und das Bundesinstitut für Sportwissenschaften (BISp). Anschließende Erhebungen im Rahmen der Sportstättenstatistik der Länder lassen sich für die Jahre 1988 und 2000 verzeichnen. 

Keine neuen Daten seit 2000

Die letzte Erhebung zur Sportstättenstatistik wurde zum Stichtag 01.07.2000 durchgeführt, sie liegt somit fast 25 Jahre zurück. Zudem ließen die Daten keine Aufschlüsse auf einzelne Sportstätten in Deutschland zu, sondern umfassten lediglich aggregierte Zahlen auf Länderebene. Auf Bundesebene liegt bis dato demnach keine einheitliche und belastbare Datenlage zu Sportstätten vor. Diese Datenlücke wird aktuell durch die Datenbanken Bäderleben für Bäder sowie dem Digitalen Sportstättenatlas Deutschland sukzessive verringert. 

Abseits der Entscheidungen auf Bundesebene haben die Länder Hamburg, Sachsen-Anhalt, Hessen, aber auch Berlin und Rheinland-Pfalz Sportstättenatlanten erstellt beziehungsweise erstellen diese derzeit. Sportstätten-atlanten sind Datenbanken aller in einem Bundesland existierenden Sportstätten. Dabei wird jede Sportstätte im Einzelnen erfasst und in einem geografischen Raum verortet, so dass aggregierte Aussagen, zum Beispiel auf Ebene von Landkreisen, kreisfreien Städten oder Bundesländern möglich sind. 

Sportsattelitenkonto

Seit 2008 werden für Sport getätigte Ausgaben im Sportsattelitenkonto Deutschland (SSK) im Rahmen der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen betrachtet. Im Zuge der regelmäßigen Aktualisierung des SSK werden auch Zahlen zu Sportstätten berichtet. Für das Sporttreiben stehen laut dem aktuellen SSK ca. 230 000 Sportstätten zur Verfügung, davon ca. 40 000 Sporthallen, ca. 7000 Bäder, ca. 66 000 ungedeckte Anlagen wie zum Beispiel Sportplätze und ca. 8700 Tennisanlagen. 

Den Sportstätten in Deutschland wird außerdem ein hoher Sanierungsstau attestiert. Bereits 2018 schätzte der DOSB den Sanierungsstau deutscher Sportstätten auf rund 31 Milliarden Euro. Das aktuelle KfW-Kommunalpanel beziffert den wahrgenommenen Investitionsrückstand im Bereich Sport in Kommunen auf ca. 12,9 Milliarden Euro, ein Anstieg von rund 4,5 Milliarden Euro zum Vorjahr. Der Finanzbedarf der Kommunen für notwendige Investitions- und Instandsetzungsmaßnahmen wird auch anhand von Zahlen zu dem Bundesförderprogramm Sanierung kommunaler Einrichtungen in den Bereichen Sport, Jugend und Kultur (SJK) deutlich. Es wurden Anträge in Höhe von 2,3 Milliarden Euro gestellt, das Programm hatte jedoch bis zu diesem Zeitpunkt einen Umfang von nur 476 Millionen Euro. 

Investitionspakt Sportstätten 2020

Angesichts des hohen Sanierungsbedarfs, der politischen und sozialen Brisanz bei Schließungen von Sportstätten und der unterschiedlichen kommunalen Finanzkraft gerät die Sportinfrastruktur immer wieder ins Visier politischer Entscheidungsgremien in den Ländern und im Bund, die sich in Förderprogrammen manifestieren. Als Ergänzung zu den Programmen der bestehenden Städtebauförderung wurde vonseiten des Bundes und der Länder beispielsweise der Investitionspakt Sportstätten 2020 konzipiert, der Finanzhilfen des Bundes in Höhe von insgesamt 370 Millionen Euro für das Jahr 2021 vorsah. Trotz der Tatsache, dass das Bundesprogramm in mehreren Bundesländern überzeichnet war, beschloss der Bundestag 2022 keine weiteren Gelder für den Investitionspakt Sportstätten zur Verfügung zu stellen und das Programm vorzeitig einzustellen. Gleichzeitig wurde allerdings das Bundesprogramm SJK stetig aufgestockt, wobei im Rahmen der letzten Förderrunde 2024 68 Projekte gefördert wurden. 

Schätzverfahren zu Deutschen Sportstätten

Auch wenn richtwertbezogene Ansätze, wie sie seit den 1960er-Jahren für Planungen von Sportinfrastrukturen verwendet wurden, als weitgehend abgelöst gelten, zeigt sich in der kommunalen Praxis ein starkes Bedürfnis nach Orientierungswerten, welches auch nicht durch verhaltensorientierte oder kooperative Planungsansätze befriedigt wird. Daher wird derzeit im Rahmen eines BISp-geförderten Projektes mit dem Kurztitel Schätzverfahren zu Deutschen Sportstätten (SDS) ein Ansatz entwickelt, der regionenbezogene „Versorgungsgrade“ mit Kernsportstätten (Sporthallen, Sportplätze und Schwimmbäder) bestimmt. Versorgungsgrade bieten die Möglichkeit, Vergleiche zwischen Kommunen, Regionen oder Landesdurchschnitten anzustellen und diese Informationen für gezielte Steuerungsprozesse zu nutzen. Für jeden Kernsportstättentyp wurde dabei ein differenziertes Kennzahlensystem erarbeitet, mit dem Ziel, alle relevanten Aspekte hinsichtlich der Daseinsvorsorge mit Kernsportstätten für die Bevölkerung abzubilden. 

Gesellschaftspolitisch und auch für Sportstätten höchst relevant sind die Bereiche Klimaschutz, CO₂-Reduzierung, Energieverbrauch und Energieeffizienz. Die energieeffiziente Gestaltung von Sportstätten stellt jedoch Kommunen bzw. Betreiber vor zusätzliche technische, organisatorische und finanzielle Herausforderungen. 

Im Dialog mit

Prof. Dr. Lutz Thieme

Woran liegt es, dass es zwar immer wieder regionale Ansätze von Statistiken zur Sportinfrastruktur gibt, aber keine bundesweite Initiative? Was bedeutet es für den Sport und seine Infrastruktur, wenn die Milliardendefizite zwar bekannt sind, aber aktuelle und belastbare Zahlen fehlen?

Dem Bundesinstitut für Sportwissenschaft (BISp) ist eine Initiative zur Erstellung eines Digitalen Sportstättenatlas Deutschland (DSD) zu verdanken, die unter Berücksichtigung kommunaler und bundesländerspezifischer Datenquellen den Versuch unternimmt, eine geolokalisierte Übersicht über die in Deutschland vorhandenen Kernsportstätten, also Sporthallen, Sportplätze und Bäder, zu erlangen und die wesentlichen Strukturmerkmale zusammen zu tragen. Auf dieser Basis können dann unter anderem nachvollziehbare Aussagen zu Versorgungsgrade getroffen oder über statistische Verfahren fehlende Werte, beispielsweise zu notwendigen Sanierungskosten ermittelt werden. Ziel muss es ja sein, politischen Entscheidungen zu ermöglichen, auf möglichst umfassende Informationen zurückzugreifen, um sich nicht an Alarmismus oder lobbyistischen Übertreibungen orientieren zu müssen. Es geht darum, informierte und rationale politische Entscheidungen zu den Sportstätten zu ermöglichen.

Wie hoch schätzen Sie die (zusätzlichen) Kosten bei der Sanierung unserer Sportanlagen, die für Klimaschutz, CO₂-Reduzierung und Energiemanagement anfallen werden?

Leider ist das seriös nicht zu beantworten. An vielen Stellen entstehen dafür einzelne Puzzleteile, zum Beispiel durch eine Untersuchung zum Primärenergiebedarf bei kommunalen Schwimmbädern durch das Umweltbundesamt oder der Definition, was nachhaltige Sportfreianlagen eigentlich auszeichnet, durch die Forschungsgesellschaft Landschaftsentwicklung Landschaftsbau. Damit all diese Puzzleteile irgendwann ein Gesamtbild ergeben können, müssen sie zusammengeführt werden.

Welche Art von Sportstätten halten Sie angesichts des finanziellen und ökologischen Drucks für zukunftsfähig?

Sportstätten müssen multifunktionalen Anforderungen gerecht werden können und möglichst kostengünstig an neue Anforderungen angepasst werden. Sie müssen nachhaltig und resilient konzipiert, errichtet und betrieben werden und dabei Kommunen, Sportvereine oder auch private Betreiber finanziell nicht überfordern. Es ist herausfordernd, quasi
eine Quadratur des Kreises diese sich zum Teil widersprechenden Zieldimensionen in einer Sportstätte zu verwirklichen. Vielleicht gelten diese Kriterien dann auch nicht für jede einzelne Sportstätte, aber schon für den Sportstättenbestand innerhalb einer Kommune. 

Können Sie eine Sportanlage oder einen Typus nennen, die diese Kriterien erfüllt?

Es gibt immer wieder Best Practice Beispiele, die Maßstäbe für einzelne Bereiche, wie zum Beispiel einer ökologischen Bauweise oder der Multifunktionalität setzen. Es fällt mir aber schwer, eine Sportstätte zu nennen, die heute schon alle genannten Kriterien überzeugend berücksichtigt. 

Welche Möglichkeiten hat der Sport, seinen Forderungen mehr Gehör zu verschaffen?

Da müssten Sie einen Politikwissenschaftler oder eine Politikwissenschaftlerin fragen. Ich denke, dass der Sport gut beraten ist, seine gesellschaftspolitische Wirkung nicht nur zu behaupten, sondern auch permanent seriös zu belegen, einschließlich auch möglicher negativer Effekte. Eine Positionierung als Problemlöser aller gesellschaftlichen Probleme halte ich für wenig glaubwürdig und verkennt auch den Eigenwert des Sports und des Sporttreibens. Das ist die Idee des Sports als ein Lebensbereich sui generis. Jedenfalls wäre mir ein gewisses Maß an Demut bei der Bedeutung des Sports angesichts der aktuellen multiplen Krisen lieber als die Teilnahme an einem Überbietungswettbewerb um kurzfristige gesellschaftspolitische Relevanz.

Prof. Dr. Lutz Thieme 
Lehrgebiet Sportmanagement
Hochschule Koblenz

Zur Person:
Lutz Thieme studierte an der Universität Leipzig Sportwissenschaft, Kommunikationswissenschaft und Psychologie und arbeitete zunächst im Sportamt der Stadt Dresden. Weitere berufliche Stationen waren das sächsische Umweltministerium, der Verkehrsverbunde Oberelbe und die Marketingabteilung der TU Dresden. Parallel dazu sowie zum ehrenamtlichen Engagement im Sport entstand seine Promotion. 

Seit Herbst 2001 verantwortet Thieme am RheinAhrCampus in Remagen der Hochschule Koblenz das Lehrgebiet Sportmanagement. Seit 2012 ist er zudem Privatdozent an der Universität des Saarlandes. Seine Forschungsschwerpunkte liegen in der Sportökonomik, der Sportsoziologie, der Sportentwicklung, der Sportstättenentwicklung, der Entwicklung von Steuerungsinstrumenten für Sportvereine und -verbände und in der öffentlichen Sportförderung. Er engagiert sich ehrenamtlich in Wissenschafts- und Sportorganisationen. Derzeit ist er unter anderem Vizepräsident des Deutschen Schwimmverbandes sowie des Fußballverbandes Rheinland.